Osh - Bishkek: über Stock und Stein

In die Hitze und zurück

Sobald man die Grenze nach Kirgistan kreutzt, fällt ein Unterschied besonders schell ins Auge. Die Weiden sind nicht mehr nur voller Schafe, sondern unzählige Pferde und einzelne Jurten prägen das Landschaftsbild. Während wir uns von dieser Idylle begeistern liessen, wurden wir leider auch schon mit dem neuesten "Road-Kill" konfrontiert. Zwei Pferdebeine lagen mitten auf der Strasse, wo ist der Körper geblieben? Und damit waren wir gleich auch schon auf die rauen Sitten der kirgisischen Autofahrer gefasst, deren Steuerrad einmal links einmal rechts ist, wie's gerade gefällt. Geschwindigkeitsregeln werden nicht sehr genau genommen und eine Promille-Beschränkung gibt es offenbar nicht.

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In Osh checkten wir in einen Hotelbunker aus der Sovietzeit ein und amüsierten uns köstlich über die "Etagen-Svetlanas", die mürrischer und fauler nicht hätten sein können. Tobias machte sich einen Spass daraus und versuchte den Ladies bei seinen Fragen nach Toilettenpapier, heissem Teewasser oder irgendetwas, mit überschwänglicher Freundlichkeit ein Lächeln abzuringen - erfolglos.

An die kühlen Pässe das Pamirs gewöhnt, war es uns im niederigen Osh zu heiss. So entschieden wir uns, anstelle der Hauptverkehrsachse nach Bishkek für eine Route, die auf dem direkten (Schotter-) Weg in die Berge ging. Es erwarteten uns einige hohe Pässe, abgelegene Dörfchen und glücklicherweise fast kein Verkehr. Ein kleiner Hacken hatte die Geschichte aber doch. Die Naturstrasse war teilweise in einem sehr schlechten Zustand, so dass nach den anstrengenden stundenlangen Aufstiegen, die Abfahrten fast im gleichen Tempo gefahren werden mussten. Die Hände krampften und die Köpfe rauchten. bild
In der Abgeschiedenheit tauchte hie und da ein kleines Dörfchen auf, wo wir unseren bescheidenes Essenssortiment wieder aufstocken konnten. Freundliche Reiter oder unfreundliche Audifahrer kreuzten unseren Weg. Hirtenjungs stellten uns das Zelt auf und gastfreundliche Familien boten uns einen Schlafplatz an, wenn wir auf der Suche nach einem Plätzchen für unser Zelt waren. bild
Gastfreundschaft einmal anderst

Durchnässt vom Regen aus der einzigen schwarzen Wolke am Himmel (die uns in Kirgistan des öfteren fand) suchten wir in der trostlosen Strassensiedlung Sary-Bulaks vergebens nach einem Guesthouse. Eine Familie winkte uns ins Haus, wo wir im Trocknen schlafen könnten. Schon im Eingang machte ich grosse Augen, denn die Mutter und die Tochter waren gerade daran die Innereien eines Schafes für die Küche vorzubereiten. Doch als Alternative standen uns nur weitere 40km im Regen bis zum nächsten Ort oder eine nasse Zeltnacht zur Auswahl. Zudem waren die Taschen schon im Haus und das Fahrrad im Hinterhof versorgt.

Während wir Tee tranken, wurde eifrig gekocht und das Nachtessen vorbereitet. Uns wurde es schon unangenehm und wir versuchten zu erklären, dass sie wegen uns keine Umstände machen müssen. Es wurde weiterhantiert und immer mehr Platten voll Salat, Gemüse, Gebäck usw. wurden auf der grossen Tafel im Nebenzimmer angerichtet. Für uns am Teetisch gabs währendessen jeweils einen Happen zum Probieren. Natürlich hielten wir uns zurück, denn das Buffet war unterdessen riesig. Tobias machte Fotos von der schönen Tafel und die Familie warf sich in Pose, denn wir versprachen ihnen, die Fotos entwickeln zu lassen und ihnen zu senden. bild
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit wurden wir ins Kämmerchen geschickt. Während wir im Zimmer warteten, hörten wir draussen auf einmal die Teller klimpern. Da waren doch tatsächlich Gäste gekommen und assen genüsslich während wir allmählich mit einem Loch im Bauch die Welt nicht mehr verstanden. Also machten wir uns an unseren Biscuit-Vorrat und realisierten endlich was da vor sich ging. Vom Ramadan war im Allgemeinen nicht viel zu merken, doch in diesem Dorf trafen sich alle, die Ramadan machten an diesem Abend zum Festmahl und wir wurden als Exoten kurzerhand weggesperrt.

Als die Faster wieder gegangen waren, holte man uns zu Tisch. Inzwischen war es fast zehn Uhr Abends und der Appetit war uns etwas vergangen. Erst recht, als jetzt noch ein Platte mit Schafkopf und -innereien aufgetischt wurde, von der jetzt freudig verteilt wurde. Nachdem der kleine Enkelbub schon zufrieden am Schafsohr kaute, die Tochter genüsslich das Auge verdrückte und der Schwiegersohn das Gehirn in seine Suppe rührte, stellte ich erleichtert fest, dass den Gästen traditionellerweise die Rippchen überlassen werden. Phu, das wär sonst mit dem Kymys (halbvergorene Stutenmilch) zuviel kulinarische Experimente gewesen für einen Abend. Später, als wir im Bett lagen, lachten wir über die letzten Stunden und hofften, dass unsere Mägen das Ganze gut verdauen würden. Denn auf einen nächtlichen WC-Besuch auf dem üblen Dorfklo, für deren Unterhalt natürlich niemand zuständig war (ja, tatsächlich sind hier nicht einmal mehr die Plumpsklo im privaten Garten Standard), hatten wir auf jeden Fall keine Lust!

Bishkek: eine Dusche, ein bequemes Bett, gutes Essen und "dolce far niente"

bild Nach den Wochen im Pamirgebirge und über die abgeschiedenen Pässe Kirgistans hatten wir uns sehr auf die Grossstadt Bishkek gefreut. Hier würden wir eine lange "Zwangs"-pause machen dürfen. Die Organisation des China- und des Kasachstanvisums würde mehr als eine Woche Zeit in Anspruch nehmen. Doch das kam uns in der Halbzeit unserer Radreise gerade gelegen.
Hier wollten wir unsere Batterien wieder aufladen und die kleinen Defekte an unsem Material reparieren oder ersetzen. Ausserdem stand das Nichtstun für einmal auch gross auf dem Programm. Doch einige Überraschungen hielt die Hauptstadt doch noch für uns bereit...

BBQ im Hyatt und Biertrinken in "the real Soviet-Bar"

In fast zehn Tagen Bishkek hatten wir uns richtig gut eingelebt. Ein bisschen durchs Zentrum schlendern, Visum für China und Kasachstan organisieren, das BBQ Buffet des Hyatt leerfegen und die beste Pizza der Stadt ausfindig machen. Inzwischen winkte uns ein neuer Bekannter sogar anderntags vom Strassenrand aus zu. Mit unsern russischen Radlerfreunden, die wir bei ihrer Feierabendtour am Strassenrand angesprochen hatten, verabredeten wir uns zu einer Sonntags-Velotour im ZickZack durch die Stadt mit dem besten Bier in der "real Soviet-Bar". bild
Ausserdem hatten wir altbekannte Zimmernachbarn in unserem Hostel - Janine und Dominik, mit denen wir durch Serbien, Bulgarien und die Türkei geradelt sind. Leider musste Janine eine Magenverstimmung auskurieren und Tobias sich drei Tage lang vom Fleischbuffet im Hyatt erholen (das war dann doch einfach zu viel des Guten).
drei Rheintaler hoch zu Ross

Mit Marcel, der auf dem Landweg von Südostasien, China über die Seidenstrasse und Osteuropa zurück in die Schweiz reist, hatten wir in den letzten Wochen versucht unser Treffen im Suusamyr-Valley zu planen. Das ist kein einfaches Unterfangen, denn die chinesischen Verkehrsmittel und Grenzübergänge, sowie die fast willkürlichen Öffnungszeiten der kasachischen Botschaft in Bishkek, können leicht einen Strich durch die Rechnung machen. Mit mehr Glück als Verstand traffen wir uns auf drei Minuten genau an einer Kreuzung, wo eine kleine Naturstrasse nach Kyzyl-Oi führt. Im 150- Seelendorf organisierten wir uns drei Pferde, einen Guide und ein Fläschchen Arak für die nächsten zwei Tage.

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Ohne die geringste Einführung in die Kunst des Reitens sassen wir etwas steif auf dem Gaul. Es lag wohl nicht nur am Sattel, sondern viel mehr an der fehlenden Technik, dass uns nach dem Traben der Hintern zum ersten Mal auf dieser Reise schmerzte. 1600 Höhenmeter ritten wir über Wiesen und Bäche querfeldein auf den Kumbelpass und zurück zu einer Jurte, wo wir übernachteten. Ebenfalls ein Novum war, dass Tobias für einmal immer der Letzte war, trotz dem stärksten Pferd und der grössten Peitsche in der Hand. Das Stahlross liegt ihm einfach besser, als der kirgisische Hengst...
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bild Zum Geburtstag von Marcel konnten wir schon am Morgen im Auto von vier russischen Fischern während der Rückfahrt nach Bishkek anstossen. Wir freuten uns so sehr über das gelungene Treffen mit Marcel, dass wir noch länger in Bishkek blieben. Und auch danach fiel uns der Abschied nicht leicht.
kuriose Nationalsportart

Wir hatten uns schon damit abgefunden, dass wir keines der typisch kirgisischen "Horse-games" sehen würden, da wir vor dem Nationalfeiertag nach Kasachstan weiterradeln würden. Doch wir hatten Glück, denn die Vorrundenspiele waren bereits im Gange. So verschoben wir die Abfahrt nochmals und standen mit offenen Mäulern auf der Tribüne des Hippodroms. DAS ist kein Sport für sanfte Gemüter! Zwei Mannschaften à vier Reiter versuchen einen toten Schafskörper (ohne Kopf und mit gekürzten Beinen) mit blossen Händen vom Boden beim Vorbeireiten aufzuheben, unter die Beine zu klemmen und am Ende des Spielfeldes in ein Goal zu werfen. Zwar steht ein Schiedsrichter auf dem Platz, Fouls scheint es aber keine zu geben. Alles ist erlaubt: galopierend dem Gegner das Schaf aus den Händen zu reissen, Peitschenhiebe (nicht nur für das eigene Pferd, sondern auch das gegnerische oder den Gegner selbst), mit voller Wucht die Pferde gegeneinander rennen zu lassen usw. Nicht selten fällt einer zu Boden und taucht im Gerangel der stampfenden Pferden unter. Aber ein echter Kirgiese kennt keinen Schmerz, sondern fängt sein ausgebüchstes Pferd ein und spielt weiter. Der schwere, kompakte Schafskörper sieht nach 3x20min Spielzeit sehr unschön aus.

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Film von den Horsegames